Alina Schwermer gewann 2016 das VdSBB-Recherchestipendium "Spielraum" . Damit konnte sie sich intensiv mit einem sprtlichen Thema abseits von Ergebnissen und Tabellen befassen. Auch in diesem Jahr bietet der VdSBB ein Stipendium an. Die Ausschreibung finden Sie hier.
Das Stadion liegt ein Stück außerhalb von Jerusalem, zwischen staubigen Hügeln, und ist ein bisschen zu schick für die Umgebung. Als wir aus dem Auto steigen, ist es so still, dass es schwer vorstellbar ist, dass wir zu einem Fußballspiel gehen. Mir fehlen Gesänge, Geprolle, volle S-Bahnen, und prinzipiell Menschen. Immerhin gibt es Bier.
Israel, November 2016. Ich bin auf Recherche bei Beitar Nordia, einem Verein, der seinen Fans gehört und von Fans geführt wird. Nur 150 Anhänger sind gekommen. Aber ab dem Moment, wo die Mannschaften auflaufen, beginnen sie, neunzig Minuten inbrünstigen Dauer-Support zu leisten. Der laute Gesang vor der Wüstenkulisse ist einer der emotionalen Momente, die mir in Erinnerung bleiben. Es erinnert mich an das, was viele Gesprächspartner mir sagen: Wenn Menschen etwas zu sagen haben und sich geschätzt fühlen, sind sie bereit, mehr zu geben.
Ich hatte ein halbes Jahr lang ein Stipendium des VdSBB über 250 Euro im Monat mit der Vorgabe, zu einem Sportthema mit gesellschaftlicher Relevanz zu recherchieren. Was ich daraus mache, war mir überlassen. Die einzige Voraussetzung: Nach der Recherche sollte etwas veröffentlicht werden. Ich arbeite normalerweise bei der Taz und leite den Berlin-Sport, was per se gesellschaftliche Sportthemen auf den Schreibtisch bringt. Aber eben immer mit knapper Zeit. Oft tut es mir leid, dass ich dem Thema nicht ganz gerecht werden kann. Das Stipendium forderte mich auf, mir die Zeit zu nehmen. Ich wollte das Geld für etwas nutzen, was sonst selten möglich ist: Aufwändige Recherchereisen. Mein Thema: fangeführte Fußballvereine.
Als ich Teenie war – noch nicht so irre lange her – , gab es mal bei 11Freunde eine Serie zu „den tapferen Vereinen, die sich aus Protest gegen die Kommerzialisierung neu gegründet haben“. Die war ganz nett gemacht, aber auch irgendwie nervig, weil die Clubs ständig glorifiziert wurden. Das Thema blieb mir im Hinterkopf, die Skepsis auch. Meine Frage für die Recherche wurde: Was kann Fanführung wirklich im Fußball? Kann sie funktionieren, und wenn ja, unter welchen Bedingungen? Denn Schattenseiten gibt es. Von Mobbing über interne Grabenkämpfe bis hin zur Erschöpfung von zu viel Freiwilligenarbeit habe ich viel erfahren. Aber auch immer wieder beeindruckende Menschen und ihr Engagement erlebt. Das gemischte Mosaik wollte ich abbilden.
Es gibt in Europa in fast jedem Land fangeführte Vereine, aber die meisten Reportagen drehen sich um ein paar wenige berühmte Beispiele. Erfolgsgeschichten wie den AFC Wimbledon oder spektakuläre Fälle wie Austria Salzburg. Aber was bewegt einen durchschnittlichen spanischen Fanverein in der vierten Liga? Warum hat es Fan-Demokratie auf dem Balkan so schwer und warum läuft es in Italien so gut? Nach der ersten Recherche entschied ich mich, mehrere Vereine in unterschiedlichen Ländern zu besuchen.
Irgendwann lag die Auswahl bei zehn Vereinen. Auf einige Clubs bin ich zufällig gestoßen, in Online-Artikeln von spanischen Regionalzeitungen oder Meldungen von italienischen Fanblogs. Es half, Sprachen zu können. Andere Vereine waren Empfehlungen von Gesprächspartnern. Ich habe mit engagierten Fans aus der Szene gesprochen: In welchem Land tut sich gerade viel? Wo gibt es Probleme, wo ist es besonders spannend? Und, zugegeben, es spielten auch persönliche Aspekte eine Rolle. Israel im November, 25 Grad – ja, warum denn nicht? Die Kontaktaufnahme mit den Clubs selbst war nicht so leicht. Offizielle Webseiten hatte kaum jemand, und wenn, waren die Telefonnummern falsch oder nicht erreichbar. Das beste Kommunikationsmittel, habe ich gelernt, ist Facebook. Jeder Fanverein vom hinterletzten Kaff hat eine eigene Seite, und sobald man die mal ausfindig gemacht hat, antworten viele innerhalb von Minuten. Gern mit: „Hallo, ich bin der Präsident, wie kann ich helfen?“ Ein bisschen Unwägbarkeit blieb dabei: Wenn ich da auftauche, kümmert sich jemand?
Ich habe alle zehn Fanvereine, über die ich berichte, selbst besucht, oder werde sie besuchen. Das war mir wichtig, weil es die Möglichkeit gibt, das Umfeld kennenzulernen, den Fan um die Ecke zu fragen: Hey, welches Thema bewegt dich? Der rote Faden aller Geschichten sollten die Menschen sein: Fanvereine leben noch mehr als andere Clubs durch die Freiwilligen, können aber vielfach auch an ihnen scheitern. Und häufig lagen Euphorie und Krise sehr nahe beieinander.
Das wirkte sich auf die Geschichten aus. Oft hatte ich vor dem Besuch eine These im Kopf, aber die Realität vor Ort warf eine ganz andere These hin. Ich musste mir eingestehen, dass ich mir zu früh ein Bild gemacht hatte. Bei Ciudad de Murcia wollte ich eine Geschichte über Aufbruchsstimmung schreiben, aber erst im Gespräch mit den Leuten vor Ort wurde mir klar, dass sie eigentlich alle total erschöpft waren. Das hat die Geschichte um 180 Grad gedreht. Und bei Beitar Nordia habe ich erst vor Ort von einem Konflikt zwischen dem Verein und der nationalen Organisation Israfans erfahren, der dann Thema der Geschichte wurde. Es war spannender, überraschender, aber auch anspruchsvoller als alltägliche Recherche.
Vor allem das Interviewen in anderen Sprachen fand ich hinderlich: Ich konnte mich einfach nicht so ausdrücken wie auf Deutsch, und fühlte mich immer ein Stück weit unterlegen. Andererseits waren die Menschen in ihrer eigenen Sprache einfach viel interessantere Gesprächspartner. Das war mir wichtig. Die zweite große Umstellung war die Vorab-Situation, weil ich trotz Recherche nicht die gleichen Hintergrundinfos hatte wie sonst. Es war nicht mein Land, ich kenne nicht jedes spanische Fußballgesetz oder jedes Detail des englischen Ligensystems. Bei einigen Vereinen hatte ich vorher eine Idee, wie die Geschichte werden sollte. Bei anderen, aber das war vielleicht auch das Schöne an dem Projekt, bin ich einfach hingefahren. Was mich am meisten überrascht hat, war die Offenheit der Leute. Wahrscheinlich, weil meine Texte in einer nie gehörten ausländischen Tageszeitung erschienen. Ich hoffe, dass das hilft, ein differenziertes Bild von Fanvereinen zu sehen. Vom Probieren, Scheitern und Weiterversuchen. Irgendwann wurde mir klar, dass das Material für mehr als einzelne Reportagen taugen könnte. Es entstand die fixe Idee, zusätzlich ein Buch über die Bewegung zu schreiben, in dem ich die Geschichten gesammelt erzähle. Schönerweise fanden andere Leute das auch gut: Das Buch erscheint 2018 beim Verlag Die Werkstatt.
Alina Schwermer